Landgerichtskantine Stuttgart, Urbanstraße. Juristen essen. Doch der Reihe nach. 11.52 Uhr: Richter A hat sich die Hände gewaschen. Im Zimmerwaschbecken. Das Privileg des Kammervorsitzenden. 11.54 Uhr: Richter B klopft. A schaut auf die Uhr. Er öffnet die Tür. A: „Pünktlich wie die Maurer“. Ein Scherz. Lachen.
Richter C wartet schon am Ende des spärlich erleuchteten Flures. C: „Pünktlich, wie die Maurer“. Ein Scherz. Lachen. Wie jeden Tag.
Immer noch lachend schreiten die drei aus dem Aufzug und betreten die Kantine begleitet von einem vielstimmigen „Mahlzeit“. Es ist jetzt genau 12.00 Uhr MEZ.
Wenn Kantinen im Allgemeinen etwas Sozialistisches an sich haben, dann gilt das für Justizkantinen im Besonderen. A,B und C reihen sich ein ins Glied. Vor dem Schöpflöffel sind alle gleich. Dem Richter macht das nichts. Er kennt das nicht anders. Den Schritt von der Mensa zur Justizkantine hat er ohne Umwege vollzogen. Kaum etwas hat sich verändert. Bis auf Farbe und Material des Tabletts. Früher war es aus Blech, heute aus orangefarbenem Hartplastik. Einzig als die Preise auf Euro umgestellt wurden, hat der Richter kurz gemurrt. Teurer sei alles geworden. Früher habe ein Schnitzel „Wiener Art“ mit Bratkartoffeln und Salat oder Suppe 7,00 Mark gekostet. Heute kostet es 3,60 Euro. Wie man das bezahlen solle? Wenigstens die Gerichte sind dieselben geblieben, in der immer unüberschaubarer werdenden Welt des Richters.
Am liebsten mag er Linsen mit Spätzle und Saitenwürstchen. Was er nicht so mag, sind aufgeplatzte Würste. Dann beschwert er sich. Meistens erhält er dann noch einen Löffel Linsen extra, was ihn sofort wieder milde stimmt. Und Freitags speist er immer Tolle Scholle. Paniert, mit Kartoffelsalat und Remouladensauce.
Nicht, dass er von Haus aus ein Fischesser wäre, aber er hat sich das halt so angewöhnt mit der Zeit. Im Laufe der Jahre. Vegetarisch hingegen ist nicht so seine Sache. Nicht, dass er etwas gegen vegetarische Speisen einzuwenden hätte. Kann ja jeder halten wie er will. Allerdings muss er zugeben, dass er auch noch keinen Vegetarier persönlich kennen gelernt, geschweige denn schon mal ein komplettes fleischloses Essen zu sich genommen hat. Deshalb wolle er sich auch kein Urteil erlauben.
Kein Urteil? Das kennen wir doch irgendwoher. Auch im Privaten bleibt der Richter seiner Linie treu. Immer schön auf Vergleich aus.
Der Anwalt isst da ganz anders. Die beiden Justizkantinen sind ihm ein Greuel.
Aus der Bürogemeinschaft wird am Mittag regelmäßig eine Essgemeinschaft. Gemeinsam zum Business-Lunch. Besonders ins Auge fallen da die Junganwälte mit den schicken Rechtsgebieten: Mergers & Acquisitions, Corporate Finance, Capital Markets, IT-Law. Alles Global Player am Mittagstisch. Cool ! Ein bisschen Sushi sollte es daher schon sein. Egal, ob in Abu Dhbi oder London, Castrop-Rauxel oder New York, Wuppertal oder Washington.
Alles andere riecht schon verdächtig nach Standeswidrigkeit. Genauer gesagt, es schmeckt danach. Mit Vorliebe genießen die jungen Herren deshalb auch die „Nouvelle Cuisine“ und deren Ergebnisse. Obatzda vom Mozarella auf Rucola - Beet. Oder war das jetzt Bett ?
Kürbisgnocci unter Kugelfischcarpaccio, Seemorchel entspannt an Butter gelehnt, Lachs, der auf Zedern fällt........ Und was es sonst noch für Verbrechen an der Menschlichkeit gibt.
Der Mörder ist immer der Koch. Vor das Küchenverbrechentribunal sollte man sie stellen, die Sterne- und Haubenträger, die derart Barbarisches auftischen. Auf milde Richter würden sie dort allerdings vergeblich hoffen. Denn Recht geht bekanntlich durch den Magen. Und gerade beim Essen versteht der Richter keinen Spaß. Da entscheidet er gewissermaßen aus dem Bauch heraus, per Stuhlurteil. Mindestens ein Berufsverbot käme da heraus. Oder eine Zwangsversetzung. Ab in die Justizkantine, als Küchenhilfe !
Thomas Lang, Anwaltsreport 09 / 2002
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