Forum Sterbehilfe auf dem Hessentag 2005
Hessentag 2005 – Forum Sterbehilfe:
Das Hessische Ministerium der Justiz hat am 20.06.2005 ein Forum zu aktuellen Fragen rund um das Thema Sterbehilfe auf dem Hessentag
in Weilburg an der Lahn veranstaltet.
Unter dem Titel
"Freiheit zum Tod? – Sterbehilfe in Deutschland"
haben Besucher des Hessentags mit der Gießener Professorin Gabriele Wolfslast, dem Bischof der evangelischen Kirche Kurhessen - Waldeck Dr. Martin Hein, dem Chefarzt der medizinischen Klinik des Klinikums Wetzlar – Braunfels Professor Dieter Heinrich und dem Hessischen Justizstaatssekretär Herbert Landau über Grenzfragen zwischen Medizin und Recht diskutiert.
Im Mittelpunkt standen dabei die aktive und die passive Sterbehilfe sowie der rechtliche und praktische Umgang mit Patientenverfügungen.
Rechtsanwältin Esther Noske, Redakteurin der NJW und der Zeitschrift für Rechtspolitik ( ZRP ), leitete die Diskussion.
Alle Podiumsteilnehmer wandten sich gegen eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe und sprachen sich daher gegen eine Übertragung der niederländischen und belgischen Regelungen aus.
Wolfslast betonte aber einschränkend, dass es wenige und extreme Ausnahmefälle geben könne, in denen es falsch sei, den Handelnden mit dem Strafrecht zu drohen.
Insoweit könne auch eine geringfügige Öffnung des § 216 StGB für Konfliktkonstellationen erwogen werden.
Dem widersprachen die übrigen Diskussionsteilnehmer:
Hein wandte sich aus christlich – ethischer Sicht dagegen, die Tür zur aktiven Sterbehilfe auch nur einen Spalt zu öffnen. Das Christentum sehe den Menschen als Geschöpf und Ebenbild Gottes an. Der Mensch dürfe es sich daher nicht anmaßen, Herr über Leben und Tod zu sein. Gleichzeitig warnte er vor einem Dammbruch :
In einer älter werden Gesellschaft, in der die Rentenkassen und das Gesundheitswesen unter einem starken finanziellen Druck stünden, bestehe eine Versuchung, Sterbehilfe als eine vermeintliche humane Lösung zu präsentieren.
Landau plädierte für einen heiligkeitsorientierten Lebensschutz. Weder das christliche Menschenbild noch die Vorgaben des Grundgesetzes ließen eine qualitative Betrachtung des Lebens zu.
Das Grundgesetz habe eine lebensbejahende Tendenz, die vor allem in dem Gottesbezug in der Präambel und in den Artikeln 1,2 und 6 zum Ausdruck komme.
Heinrich stellte die ambulanten und stationären Hospize als eine konstruktive Alternative zu jeder Form aktiver Sterbehilfe heraus.
Seine persönlichen Erfahrungen als Mitbegründer eines Hospizes in Mittelhessen hätten gezeigt, dass es möglich sei, Menschen in den letzten Stunden und Tagen ihres Lebens mit Zuwendung und Liebe zu begleiten und damit die Basis für ein Sterben in Würde ohne Angst und Schmerzen zu schaffen.
Insoweit bestehe allerdings Nachholbedarf: Erst allmählich erkenne die Gesellschaft an, dass Sterbebegleitung eine gemeinsame Aufgabe sei, die finanzieller und ideeller Beiträge bedürfe.
Die Diskutanten waren sich dahin einig, dass die passive und indirekte Sterbehilfe sowohl aus rechtlicher als auch aus christlich – ethischer Sicht grundsätzlich zulässig seien.
Hein hob den Unterschied zur aktiven Sterbehilfe hervor: bei der passiven und der indirekten Sterbehilfe gehe es nicht um eine gezielte Herbeiführung des Todes.
Wolfslast und Landau verwiesen auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten.
Dieses gebiete es, lebensverlängernde Maßnahmen abzubrechen, sofern der Patient eine Weiterbehandlung habe.
Problematisch seien allerdings die Fälle, in denen der Patient nicht mehr ansprechbar sei. Insoweit komme es auf den mutmaßlichen Willen an, der sich aus einer Patientenverfügung ergeben könne.
Die Podiumsteilnehmer vertraten unterschiedliche Ansichten zu der Reichweite der Patientenverfügungen.
Wolfslast stellte heraus, dass er keinen Unterschied zwischen dem einwilligungsfähigen und dem einwilligungsunfähigen Patienten geben dürfe.
Genauso wie eine einwilligungsfähige Person jede Form der Behandlung verweigern könne, auch wenn die Ablehnung unvernünftig und lebensbedroh-lich sei, müsse auch eine Patientenverfügung, die auf einen Behandlungs-abbruch gerichtet sei, unabhängig von der Schwere des Grundleidens beachtet werden.
Landau trat dagegen für eine Beschränkung der Reichweite von Patientenverfügungen auf die Fälle tödlich verlaufender Krankheiten ein. Die im Grundgesetz angelegte lebensbejahende Tendenz und die immer wieder auftretenden Unsicherheiten bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens rechtfertigen einen solchen zurückhaltenden Umgang mit Patientenverfügun-gen.
Heinrich sprach sich für eine Stärkung der Vorsorgevollmacht aus. Die Einsetzung einer Vertrauensperson könne Konfliktfälle und Unsicherheiten, wie sie bei Patientenverfügungen immer wieder aufträten, vermeiden helfen.
Hans – Peter Schick, Bürgermeister der diesjährigen Hessentagsstadt Weilburg an der Lahn, dankte allen Teilnehmern für eine intensive und anregende Diskussion. Auch ein fröhliches Fest wie der Hessentag werde durch eine Auseinandersetzung mit Fragen, die für die Gesellschaft und jeden Einzelnen existentiell seien, nachhaltig bereichert.
Richter am OLG Dr. Roman Poseck, Wiesbaden
aus : NJW - Editorial v. 22.08.2005