Bundesgerichtshof-Beschluß vom 8.06.2005
Weigerung eines Betreuers, in eine weitere künstliche Ernährung des Betreuten einzuwilligen
In seinem Beschluss vom 08.06.2005 (NJW 2005, 2385) hatte sich der BGH erneut mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen ein Betreuer die Einstellung der künstlichen Ernährung des betreuten einwilligungsunfähigen Patienten verlangen kann.
Von Bedeutung ist dieser Beschluss u. a. deshalb, weil der BGH sich auch mit der Frage auseinandersetzen musste, wann die Weigerung des Betreuers, in eine weitere künstliche Ernährung des Betreuten einzuwilligen, der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf.
Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der (im Verlauf des Prozesses verstorbene) Kläger hatte, vertreten durch seinen Vater als Betreuer, von der Beklagten, der Trägerin eines Pflegeheims, verlangt, seine künstliche Ernährung einzustellen, um ihn sterben zu lassen.
Der Kläger litt seit dem 19.07.1998 an einem apallischen Syndrom im Sinne eines Wachkomas.
Er befand sich seit dem 10.09.1998 aufgrund eines von seinem Betreuer für ihn abgeschlossenen Heimvertrags in einem Pflegeheim der Beklagten. Dort wurde er von einem niedergelassenen Arzt behandelt und vom Pflegepersonal der Beklagten mittels einer – bereits vor der Aufnahme in das Heim eingebrachten – PEG - Sonde künstlich ernährt.
Im Dezember 2001 ordnete der behandelnde Arzt im Einvernehmen mit dem Betreuer an, die künstliche Ernährung einzustellen und die Zuführung von Flüssigkeit über die Magensonde zu reduzieren. Zudem traf er Anordnungen zur Verabreichung von Medikamenten und zur Pflege des Betreuten.
Die Beklagte lehnte die Durchführung dieser Anordnung, bei deren Befolgung der Kläger binnen (max.) acht bis zehn Tagen an einer Nierenvergiftung sterben würde, unter anderem mit der Begründung ab, ihre Pflegekräfte weigerten sich, der ärztlichen Anordnung nachzukommen.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger von der Beklagten, seine künstliche Ernährung in jeglicher Form zu unterlassen; außerdem verlangte er, die Anordnung des behandelnden Arztes sowie sämtliche weiteren, ihn betreffenden palliativmedizinischen Anordnungen des verantwortlichen behandelnden Arztes, insbesondere zur Durstverhinderung und im Rahmen der Schmerztherapie, durchzuführen.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab (vgl. OLG München, NJW 2003, 1744) .
Nach dem zwischenzeitlichen Tod des Klägers hatten beide Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt, so dass der BGH im Beschlusswege nur noch über die Kosten des Rechtsstreits gem. § 91 a ZPO zu entscheiden hatte. Er hat die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben.
In den Gründen stellt der BGH zunächst erneut fest, dass die mit Hilfe einer Magensonde durchgeführte künstliche Ernährung ein Eingriff in die körperliche Integrität ist, der der Einwilligung des Patienten bedarf.
Das Recht des Patienten zur Bestimmung über seinen Körper mache Zwangsbehandlungen, auch wenn sie lebenserhaltend wirken, unzulässig.
Die künstliche Ernährung des Klägers habe dem vom Betreuer als wirklicher oder mutmaßlicher Wille des Klägers geäußerten Willen widersprochen. Der Vater des Klägers sei in den Aufgabenkreisen, für die er zum Betreuer des Klägers bestellt worden war, dessen gesetzlicher Vertreter gewesen. Ihm habe auch die Entscheidung oblegen, ob und inwieweit in die körperliche Integrität des Klägers eingegriffen werden durfte.
Es sei die Pflicht des Betreuers gewesen, dem Willen des Klägers in eigener rechtlicher Verantwortung Geltung zu verschaffen. Seine Anordnung, die weitere künstliche Ernährung des Klägers zu unterlassen, sei deshalb gegenüber der Beklagte und ihrem Pflegepersonal bindend gewesen.
Eine eigene Prüfungskompetenz, ob und inwieweit die getroffene Entscheidung des Betreuers der von § 901 Abs. 2 bis 4 BGB normierten Pflichtenbindung gerecht worden sei, habe der Beklagten nicht zugestanden. Sie sei insoweit auf die Möglichkeit beschränkt gewesen, beim Vormundschaftsgericht eine Überprüfung des Betreuerhandelns anzuregen.
Die Weigerung des Betreuers, in eine weitere künstliche Ernährung des Klägers durch die Beklagte einzuwilligen, habe im vorliegenden Fall auch keiner vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft.
Unter Bezugnahme auf seinen Beschluss vom 17.03.2003 (NJW 2003, 1588) legt der Senat dar, dass das Vormundschaftsgericht nur dann zu einer Entscheidung berufen sei, wenn der einen einwilligungsunfähigen Patienten behandelnde Arzt eine lebenserhaltende oder – verlängernde Maßnahme für medizinisch geboten oder vertretbar erachtet und sie deshalb „anbietet“ und der Betreuer sich diesem Angebot verweigert.
Ein solcher, die Kontrollzuständigkeit des Vormundschaftsgerichts auslösender Konflikt, er habe im vorliegenden Fall nicht indes nicht bestanden. Der Betreuer und der behandelnde Arzt hätten sich übereinstimmend gegen eine weitere künstliche Ernährung des Klägers entschieden. Das Beharren der Beklagten, die künstliche Ernährung entgegen der ärztlichen Anordnung fortzusetzen, habe keine dem Widerstreit von ärztlicher Empfehlung und Betreueranordnung vergleichbare Konfliktsituation begründet. So dann führt der Senat eingehend aus, aus welchen Gründen die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, sich den Anordnungen des Betreuers zu widersetzen.
Nachdem nach der grundlegenden Entscheidung des BGH vom 17.03.2003 zunächst der Eindruck entstanden war, das Vormundschaftsgericht müsse in jedem Fall die Anordnung eines Betreuers lebensverlängernde Maßnahmen zu beenden (passive Sterbehilfe), genehmigen, bringt der Beschluss vom 08.06.2005 nunmehr eine Klarstellung und deutliche Eingrenzung der vor-mundschaftsgerichtlichen Zuständigkeit auf die Fälle einer Konfliktsituation zwischen Betreuer und behandelnden Ärzten.