Gisbert Bultmann
Rechtsanwalt & Notar a.D.
 

   
 

 BGH zu Heimpflichten bei Vorsorge gegen Stürze

   
 

 

Pflicht des Trägers eines Pflegewohnheims, die körper-
liche Unversehrtheit der Heimbewohner zu schützen

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat folgenden
Fall entschieden:


Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse Berlin machte gegen
die beklagte Trägerin eines Altenpflegewohnheims einen kraft
Gesetzes (§ 116 SGB X) übergegangenen Schadensersatzanspruch
einer bei einem Unfall verletzten Heimbewohnerin geltend.


Die Klägerin ist gesetzlicher Krankenversicherer einer im
Jahre 1912 geborenen Rentnerin, die seit 1997 in einem von
der Beklagten betriebenen Pflegewohnheim lebt.



In den Jahren 1994 bis 1998 hatte die Versicherte sich bei drei Stürzen
jeweils erhebliche Verletzungen zugezogen.Ausweislich des
von der Klägerin vorgelegten Pflegegutachtens ist sie hoch-
gradig sehbehindert, zeitweise desorientiert und verwirrt;
ihr Gang ist sehr unsicher. Sie ist der Pflegestufe III
zugeordnet. Am 27. Juni 2001 wurde sie in der Zeit der
Mittagsruhe in ihrem Zimmer vor ihrem Bett liegend auf-
gefunden. Sie hatte sich eine Oberschenkelhalsfraktur
zugezogen, derentwegen sie stationär und anschließend
ambulant behandelt werden mußte.


Die Klägerin war der Auffassung, daß der Unfall auf eine
Pflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen ist. Sie
lastete der Beklagten insbesondere an, diese habe es
versäumt, die sturzgefährdete Bewohnerin in ihrem Bett
zu fixieren, zumindest die Bettgitter hochzufahren.


Außerdem hätte die Beklagte der Bewohnerin Hüftschutzhosen
(Protektorhosen) anlegen müssen, durch die die Gefahr
eines Knochenbruchs bei einem Sturz gemindert worden wäre.
Das Landgericht hat der auf Ersatz der von der Klägerin
getragenen Heilbehandlungskosten gerichteten Klage im
wesentlichen stattgegeben; das Kammergericht in Berlin hat
sie abgewiesen und die Revision zur Klärung der Frage
zugelassen, unter welchen Voraussetzungen ein Pflegeheim
für Verletzungen einzustehen hat, die sich ein Heimbewohner
während des Heimaufenthaltes zuzieht.


Der III. Zivilsenat hat die Revision der Klägerin zurück-
gewiesen.


Zwar erwuchsen der beklagten Heimträgerin aus den jeweiligen
Heimverträgen Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen
Unversehrtheit der ihr anvertrauten Heimbewohner. Ebenso
bestand eine inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungs-
pflicht zum Schutz der Bewohner vor Schädigungen, die diesen
wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder
geistigen Einschränkung durch sie selbst oder durch die
Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims drohten.


Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die in Pflege-
heimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen
finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind.
Maßstab müssen das Erforderliche und das für die Heim-
bewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein, wobei
insbesondere auch die Würde und die Selbständigkeit der
Bewohner zu wahren sind.


Im vorliegenden Fall war der Unfallhergang im einzelnen
nicht mehr aufklärbar. Das Berufungsgericht hatte es mit
Recht abgelehnt, der Klägerin Beweiserleichterungen im Sinne
einer Beweislastumkehr zugute kommen zu lassen. Allein aus
dem Umstand, daß die Heimbewohnerin im Bereich des Pflege-
heims der Beklagten gestürzt war und sich dabei verletzt
hatte, konnte nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung
des Pflegepersonals der Beklagten geschlossen werden.


Darlegungs- und beweispflichtig war vielmehr insoweit die
Klägerin als Anspruchstellerin.



Nach den Besonderheiten des Falles bestand für das Pflegepersonal insbesondere kein hinreichender Anlaß, die Bewohnerin im Bett zu
fixieren, mindestens aber die Bettgitter hochzufahren. In
rechtsfehlerfreier tatrichterlicher Würdigung hatte das
Berufungsgericht eine schuldhafte Pflichtverletzung auch
nicht darin erblickt, daß die Mitarbeiter der Beklagten es
unterlassen hatten, der Bewohnerin Hüftschutzhosen
(Protektorhosen) anzulegen, durch die die Gefahr eines
Knochenbruchs bei einem Sturz gemindert worden wäre.



Die Klägerin hatte weder konkret vorgetragen, noch unter
Beweis gestellt, mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit
Verletzungen, wie sie die Bewohnerin erlitten hatte, durch
das Tragen dieser Schutzvorrichtung zu verhindern gewesen wären.

 

BGH vom 14. Juli 2005 – III ZR 391/04 -

 

Siehe auch die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofes

 

 

 

 

 
 
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