Zwangseinweisung in die Psychiatrie
Eingriff in die Freiheitsrechte
Mehr Kontrolle, mehr Vorbeugung, mehr Beratung: Viele Zwangseinweisungen in die Psychiatrie könnten vermieden werden, sagen die Experten
Manchmal muss die Entscheidung ganz schnell gehen: Wenn jemand kurz davor ist, sich umzubringen zum Beispiel. Wenn er womöglich auch noch damit droht, seine Angehörigen zu töten.
In dem Fall kann der Notarzt, der Polizist oder die Feuerwehr den Betreffenden zwangsweise in eine psychiatrische Klinik einweisen. Hinzuziehen muss der Notdienst allerdings das Ordnungsamt, das für derartige Notfälle auch einen Bereitschaftsdienst hat. Im Laufe des kommenden Tages entscheidet ein Richter, ob es bei der Einweisung bleibt.
Gerechnet auf 10 000 Einwohner gibt es in Dortmund 900 Einweisungen. Zum Vergleich: Bochum zählt 166, Herne nur 44.
Dabei beruhen alle Zwangseinweisungen auf dem
"Gesetz über Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten" (PsychKG).
Zwangsweise in der Psychiatrie:
"Das ist ein erheblicher Eingriff in die Freiheitsrechte eines Menschen", erläutert NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann, "sie muss absolute Ausnahme bleiben".
Auch für den FDP-Abgeordneten Stefan Romberg sind die Zahlen alarmierend. "Wir müssen das dringend anpacken." Schließlich hätten sich, sagt Romberg, die ambulanten therapeutischen Möglichkeiten bei psychischen Erkrankungen in den vergangenen Jahren deutlich verbessert.
Woran es mangelt, ist die richterliche Kontrolle. Zu diesem Schluss kommt die Studie der Uni Siegen über die Einweisungspraxis in den vier NRW-Städten Olpe, Viersen, Köln und Münster.
"Gerade in Städten mit besonders hohen Unterbringungszahlen sind die Richter und Ordnungsbehörden überlastet.
Die Behörden in Köln und Münster sind längst nicht mehr in der Lage, jeden Fall durch eigene Mitarbeiter vor Ort zu prüfen", so die Autoren.
FDP-Politiker Romberg, der als Nervenarzt in einer Klinik arbeitet, klagt:
"Viele Nothelfer oder Polizisten, aber auch Hausärzte sind nicht geschult, mit psychiatrisch Erkrankten umzugehen.
Aus Unsicherheit wird dann im Zweifel zwangsweise eingewiesen, um kein Haftungsrisiko einzugehen."
Die Autoren der Siegener Studie empfehlen denn auch Schulungen von Ärzten, Polizisten und Rettungsdiensten sowie Krisennotdienste und Beratungsmöglichkeiten vor Ort, vor allem in Regionen und Stadtteilen mit vielen alten und sozial schwachen Menschen.
Denn nicht nur Schizophrenie oder Wahnvorstellungen seien die typischen Krankheitsbilder, sondern zunehmend die psychi-schen Folgen von Alkohol-, Drogen und Tablettenkonsum sowie Demenzerkrankungen älterer Menschen, erläutert Michael Regus, der die Studie leitete.
Für den Professor der Universität Siegen wären viele Zwangsunterbringungen vermeidbar - "wenn die außerklinische Krisenhilfe und Prävention besser wäre".
Die Studie im Internet:
http://www.mags.nrw.de
WAZ vom 26.01.2006